Das stille Gebet ist eine echte Kostbarkeit inmitten von Pflichten, Worten und Lärm.
Herzlich Willkommen zu LebensLiturgien, Staffel 6, Thema „Zeit“. Das mit der Zeit ist eine seltsame Sache: sie umgibt uns überall und bleibt doch ungreifbar. Manchmal vergeht sie quälend langsam, dann wieder viel zu schnell. Wir hätten gerne mehr von ihr – und vergeuden sie doch allzu oft. In dieser Staffel wollen wir versuchen, genau das tiefer zu verstehen und zu lernen, auf gute Weise in der Zeit zu leben.
Zu Beginn meines Betens lege ich zur Seite, was mich beschäftigt
und lasse es ruhig werden in mir.
Ich nehme mir Zeit und atme langsam und bewusst.
Herr über Zeit und Ewigkeit: du bist hier. Jetzt.
Meine Zeit steht in deinen Händen.
Alles hat seine Zeit. Das gilt für alles, was auf der Erde geschieht.
Neues Leben hat seine Zeit und Sterben hat seine Zeit.
Kranksein hat seine Zeit und Gesundsein hat seine Zeit.
Weinen und Klage haben ihre Zeit, aber auch Jubel, Leichtigkeit und Freude.
Konflikte und Kriege haben ihre Zeit, aber auch Versöhnung und Friede.
Es gibt eine Zeit für Umarmung und Liebe, und eine Zeit für Loslassen und Sich-Trennen.
Es gibt eine Zeit für Rush-Hour, Schnelligkeit und Zeitdruck, und eine Zeit für Ruhe, Durchatmen und Pausen.
Alles hat Gott so eingerichtet, dass es schön ist zu seiner Zeit – sogar die Ewigkeit hat Gott dem Menschen ins Herz gelegt.
Nur dass der Mensch nicht in der Lage ist, das Werk Gottes zu begreifen: er durchschaut weder, wo es beginnt, noch wo es endet.
nach Prediger 3
Wir sind gerade dabei, uns – im Anschluss an Jesus – eine Reihe von geistlichen Übungen und heilsamen Praktiken anzuschauen, die uns helfen, auf möglichst gute Weise in der Zeit zu leben. Also langsamer, bewusster, klarer, liebevoller. Regelmäßige impulsarme Pausen sind eine wichtige, heilsame Übung. Eine andere ist die Praxis des stillen Gebets.
„Früh am Morgen, noch vor Tagesanbruch, stand Jesus auf und ging hinaus. Er ging an eine einsame Stätte und betete dort.“
Markus 1,35
Wenn alles um uns herum voller Worte, Aufgaben und Lärm ist, ist das stille Gebet eine echte Kostbarkeit. Ein Gegenmittel mit erstaunlicher Wirkkraft – auch wenn diese Wirkkraft erst langsam, ganz allmählich in unserem Inneren spürbar wird. Die eine Wirkung dieses Gebets besteht ganz schlicht in der Stille, die unser Inneres reinigt. Die andere ist, dass sie unsere Freundschaft mit Gott vertieft. Im Anschluss an Teresa von Avila würde ich das stille Gebet so beschreiben: Stilles Gebet ist das stille, freundschaftliche Verweilen bei dem, von dem wir sicher wissen, dass er uns liebt.
„Seid stille und erkennt, dass ich Gott bin!“
Psalm 46,11
Das stille Gebet besteht aus einigen Minuten (bei manchen auch aus einer Viertel- oder sogar einer halben Stunde) innerer Stille und schlichter Ausrichtung auf Gott. Mutter Teresa wurde in einem Interview einmal gefragt, was sie zu Gott sagt, wenn sie betet. Ihre Antwort war: "Ich spreche nicht. Ich höre einfach zu." Der Interviewer glaubte zu verstehen, was sie gerade gesagt hatte, und fragte dann: "Und was sagt Gott dann zu Ihnen, wenn Sie beten?" Mutter Teresa antwortete: "Er redet ebenfalls nicht. Auch er hört einfach zu."
Zwei Anmerkungen zu dieser wunderbaren Praxis des stillen Gebets:
Erstens: das stille Gebet ist oft langweilig. Es passiert so wenig. Nur selten stellt sich ein klares, tiefes Gefühl der Gegenwart Gottes ein. Nur selten geraten wir in eine Art Stille-Flow. Viel öfter passiert einfach – nichts. Gott ist da. Und wir auch. Fertig. Gegenüber all der Impuls-Überfülle, all dem laut-bunten Tosen und Toben in uns und um uns, ist das ziemlich wenig, bisweilen sogar frustrierend wenig. Es ist allerdings eine heilige Langeweile: eine Art Entzug von all dem Lärm, nach dem wir süchtig geworden sind. Und eine Reinigung: mithilfe von christlicher Musik, guten Podcasts, inspirierender Literatur und tollen Events können wir unsere Gefühle stimulieren – aber nicht immer ist das gute Gefühl, dass sich dabei einstellt, auch wirklich Gottes Gegenwart. In der Ereignislosigkeit des stillen Gebets reinigt uns Gott von dem falschen Gott der guten Gefühle.
Das Zweite: Wenn wir damit beginnen, das stille Gebet zu praktizieren, werden wir erleben, wie unsere Gedanken vor sich hin irrlichtern und beständig mal hierhin und mal dorthin abschweifen. Das ist kein Zeichen dafür, dass wir ein schlechter Christ sind, sondern dass wir ein Mensch sind. Es ist unmöglich, das stille Gebet, die stille Herzensfreundschaft mit Gott zu praktizieren, ohne beständig abgelenkt zu werden. Insofern ist eine der wichtigsten Tätigkeiten im stillen Gebet, den ablenkenden Gedanken in dem Moment loszulassen, wo wir ihn bemerken, und ohne Frustration wieder ins Hier und Jetzt, und damit in Gottes Gegenwart, zurückzukehren.
In der Stille übe ich mich in diesem stillen Gebet …
Herr meiner Stunden und meiner Jahre, du hast mir viel Zeit gegeben.
Sie liegt hinter mir und sie liegt vor mir. Sie war mein und sie wird mein, und ich habe sie von dir.
Ich danke dir für jeden Schlag der Uhr und für jeden Morgen, den ich sehe.
Ich bitte dich nicht, mir mehr Zeit zu geben. Ich bitte dich aber um Weisheit und Willenskraft, dass ich meine Tage gut lebe.
Lehre mich, ein wenig Zeit freizuhalten von Ablenkung und Pflichten: ein wenig für Stille und Gebet, ein wenig für das Spiel, ein wenig für die Menschen um mich, die meine Liebe und meine Aufmerksamkeit brauchen.
Ich bitte dich um Sorgfalt, dass ich meine Zeit nicht töte, nicht vertreibe, nicht verderbe.
Jede Stunde ist wie ein Streifen Land. Ich möchte ihn aufreißen mit dem Pflug und Liebe hineinwerfen, damit Frucht wächst. Segne du meinen Tag.
nach Jörg Zink