Unser Leben beschleunigt und verdichtet sich seit einigen Jahrzehnten messbar.
Herzlich Willkommen zu LebensLiturgien, Staffel 6, Thema „Zeit“. Das mit der Zeit ist eine seltsame Sache: sie umgibt uns überall und bleibt doch ungreifbar. Manchmal vergeht sie quälend langsam, dann wieder viel zu schnell. Wir hätten gerne mehr von ihr – und vergeuden sie doch allzu oft. In dieser Staffel wollen wir versuchen, genau das tiefer zu verstehen und zu lernen, auf gute Weise in der Zeit zu leben.
Zu Beginn meines Betens lege ich zur Seite, was mich beschäftigt
und lasse es ruhig werden in mir.
Ich nehme mir Zeit und atme langsam und bewusst.
Herr über Zeit und Ewigkeit: du bist hier. Jetzt.
Meine Zeit steht in deinen Händen.
Alles hat seine Zeit. Das gilt für alles, was auf der Erde geschieht.
Neues Leben hat seine Zeit und Sterben hat seine Zeit.
Kranksein hat seine Zeit und Gesundsein hat seine Zeit.
Weinen und Klage haben ihre Zeit, aber auch Jubel, Leichtigkeit und Freude.
Konflikte und Kriege haben ihre Zeit, aber auch Versöhnung und Friede.
Es gibt eine Zeit für Umarmung und Liebe, und eine Zeit für Loslassen und Sich-Trennen.
Es gibt eine Zeit für Rushour, Schnelligkeit und Zeitdruck, und eine Zeit für Ruhe, Durchatmen und Pausen.
Alles hat Gott so eingerichtet, dass es schön ist zu seiner Zeit – sogar die Ewigkeit hat Gott dem Menschen ins Herz gelegt.
Nur dass der Mensch nicht in der Lage ist, das Werk Gottes zu begreifen: er durchschaut weder, wo es beginnt, noch wo es endet.
nach Prediger 3
Woher kommt es, dass wir von maschinellen und digitalen Zeitsparhelfern nur so umzingelt sind, aber dennoch das Gefühl haben, dass unsere Zeit nie reicht?
Das liegt daran, dass sich sowohl unsere Gesellschaft wie auch unsere Leben seit einigen Jahrzehnten messbar beschleunigen und verdichten. Wo Technologie uns Zeit spart, schafft sie zugleich mehr Aufgaben und Möglichkeiten heran. Heute eine Mail zu schreiben kostet beispielsweise erheblich weniger Zeit als früher einen Brief. Aber dafür kommen fünf- oder zehnmal so viele Mails in unsere Postfächer wie früher Briefe in unsere Briefkästen. Oder mit Blick aufs Auto: im Vergleich zur Kutsche oder gar zum Laufen kommen wir mithilfe des Autos um ein zigfaches schneller ans Ziel. Wir legen aber zugleich viel größere Distanzen zurück als früher, pendeln zur 25km entfernten Arbeitsstelle, fahren unsere Kinder zum Reiten ins übernächste Dorf und machen Urlaub in Kroatien. Wo Technologie uns Zeit spart, passen wir unsere Leben so an, dass sich die frei gewordene Zeit ruckzuck wieder füllt.
Dazu kommt, dass sich das Tempo unseres Lebens beständig steigert. Wir verspüren sowohl den Druck wie auch die Lust, möglichst immer noch mehr in eine bestimmte Zeitspanne am Tag zu packen. Wir haben nicht zu wenig Zeit, sondern zu viel zu tun. Nicht nur, weil wir so viel tun müssen, sondern auch, weil wir es wollen. Wir leben in einer Zeit schier unendlicher Möglichkeiten. Wir können Tag und Nacht einkaufen, Mails checken, Zeitung lesen, Serien schauen, Arbeit erledigen, Freunde treffen, telefonieren, ins Fitnessstudio gehen oder in den Urlaub fliegen. Unsere Kinder können Schlagzeug, Klavier oder Sprachen lernen, sie können klettern oder Fußball spielen oder zum Ballett gehen. Und weil wir so viele Möglichkeiten haben, wollen wir auch möglichst viele davon nutzen. Wir sind versucht, zwei bis drei Leben in eines zu packen – und zwar einfach nur, weil wir es können.
Wir haben aber nur exakt ein Leben zur Verfügung.
Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.
Lukas 12,15
Diese Worte Jesu gelten auch mit Blick auf das, womit wir unsere Zeit verbringen. Niemand von uns lebt davon, dass er seine Zeit bis oben hin vollpackt und so viel wie möglich zu erledigen, zu arbeiten und zu erleben versucht. Je mehr wir in unsere Zeit packen, desto mehr zerrinnt sie uns zwischen den Fingern.
Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.
Lukas 12,15
In der Stille lasse ich mir von Gott zeigen, wo ich zu viel will.
Herr meiner Stunden und meiner Jahre, du hast mir viel Zeit gegeben.
Sie liegt hinter mir und sie liegt vor mir. Sie war mein und sie wird mein, und ich habe sie von dir.
Ich danke dir für jeden Schlag der Uhr und für jeden Morgen, den ich sehe.
Ich bitte dich nicht, mir mehr Zeit zu geben. Ich bitte dich aber um Weisheit und Willenskraft, dass ich meine Tage gut lebe.
Lehre mich, ein wenig Zeit freizuhalten von Ablenkung und Pflichten: ein wenig für Stille und Gebet, ein wenig für das Spiel, ein wenig für die Menschen um mich, die meine Liebe und meine Aufmerksamkeit brauchen.
Ich bitte dich um Sorgfalt, dass ich meine Zeit nicht töte, nicht vertreibe, nicht verderbe.
Jede Stunde ist wie ein Streifen Land. Ich möchte ihn aufreißen mit dem Pflug und Liebe hineinwerfen, damit Frucht wächst. Segne du meinen Tag.
nach Jörg Zink