Nicht nur um uns, auch (und vor allem) in uns drin ist es laut
Herzlich Willkommen zu LebensLiturgien, Staffel 6, Thema „Zeit“. Das mit der Zeit ist eine seltsame Sache: sie umgibt uns überall und bleibt doch ungreifbar. Manchmal vergeht sie quälend langsam, dann wieder viel zu schnell. Wir hätten gerne mehr von ihr – und vergeuden sie doch allzu oft. In dieser Staffel wollen wir versuchen, genau das tiefer zu verstehen und zu lernen, auf gute Weise in der Zeit zu leben.
Zu Beginn meines Betens lege ich zur Seite, was mich beschäftigt
und lasse es ruhig werden in mir.
Ich nehme mir Zeit und atme langsam und bewusst.
Herr über Zeit und Ewigkeit: du bist hier. Jetzt.
Meine Zeit steht in deinen Händen.
Alles hat seine Zeit. Das gilt für alles, was auf der Erde geschieht.
Neues Leben hat seine Zeit und Sterben hat seine Zeit.
Kranksein hat seine Zeit und Gesundsein hat seine Zeit.
Weinen und Klage haben ihre Zeit, aber auch Jubel, Leichtigkeit und Freude.
Konflikte und Kriege haben ihre Zeit, aber auch Versöhnung und Friede.
Es gibt eine Zeit für Umarmung und Liebe, und eine Zeit für Loslassen und Sich-Trennen.
Es gibt eine Zeit für Rush-Hour, Schnelligkeit und Zeitdruck, und eine Zeit für Ruhe, Durchatmen und Pausen.
Alles hat Gott so eingerichtet, dass es schön ist zu seiner Zeit – sogar die Ewigkeit hat Gott dem Menschen ins Herz gelegt.
Nur dass der Mensch nicht in der Lage ist, das Werk Gottes zu begreifen: er durchschaut weder, wo es beginnt, noch wo es endet.
nach Prediger 3
Es gibt zwei Dimensionen von Stille: die äußere und die innere Stille. Obwohl wir auch an der äußeren Stille regelmäßig scheitern, ist sie doch vergleichsweise leicht herzustellen bzw. aufzusuchen. Wir müssen lediglich unser Smartphone ausschalten, den Laptop und das Radio. Und in einen Park oder Wald gehen, oder in ein Kloster, oder in ein kleines, stilles Zimmer in unserer Wohnung. Das ist eigentlich ganz leicht.
Warum tun wir es dann so selten? Warum fällt es uns so schwer? Woher kommt der seltsame Drang, sofort das Radio anzustellen, sobald wir im Auto sitzen?
Vermutlich, weil wir den inneren Lärm fürchten. John Mark Comer schreibt:
„Was ich mit innerem Lärm meine, ist das innere Geplapper, das einfach nicht verstummt. Der laufende Kommentar zu allem und jedem, der in unserem Kopf abläuft. Die innere endlose Wiederholung eines miesen Gesprächs mit einem Freund. Unsere Fantasien. Und zwar nicht nur sexuelle, sondern auch Rachephantasien (…). Unsere Sorgen. Die Besessenheit von hypothetischen Szenarien. Das Träumen vom perfekten Leben (…). Dieses Geschnatter in unseren Köpfen ist wie ein geistiges Hamsterrad, aus dem wir nicht aussteigen können. (…) Es gibt leider keinen Aus-Knopf.“ (aus John Mark Comer, Das Ende der Rastlosigkeit, S. 138f.)
Äußere Stille führt also zunächst einmal dazu, dass der Lärm in uns drin umso lauter wird. Das ist zugegebenermaßen frustrierend, zeigt aber, wie dringend wir regelmäßige Zeiten der Einsamkeit und der Stille brauchen. Denn leiser wird unser Inneres nur, wenn wir Stille und Einsamkeit regelmäßig praktizieren. Wenn wir uns immer wieder hineintauchen in Zeiten, in denen nichts oder nur ausgesprochen wenig passiert. Dann beginnt sich die Ruhe wie Balsam auf unsere überhitzten Seelen zu legen. Der Strom unserer Gedanken wird langsamer, leiser und klarer.
In der Stille übe ich mich in dieser inneren Gedankenstille – und lasse all die Gedanken, die dennoch kommen werden, einfach friedlich ziehen.
Herr meiner Stunden und meiner Jahre, du hast mir viel Zeit gegeben.
Sie liegt hinter mir und sie liegt vor mir. Sie war mein und sie wird mein, und ich habe sie von dir.
Ich danke dir für jeden Schlag der Uhr und für jeden Morgen, den ich sehe.
Ich bitte dich nicht, mir mehr Zeit zu geben. Ich bitte dich aber um Weisheit und Willenskraft, dass ich meine Tage gut lebe.
Lehre mich, ein wenig Zeit freizuhalten von Ablenkung und Pflichten: ein wenig für Stille und Gebet, ein wenig für das Spiel, ein wenig für die Menschen um mich, die meine Liebe und meine Aufmerksamkeit brauchen.
Ich bitte dich um Sorgfalt, dass ich meine Zeit nicht töte, nicht vertreibe, nicht verderbe.
Jede Stunde ist wie ein Streifen Land. Ich möchte ihn aufreißen mit dem Pflug und Liebe hineinwerfen, damit Frucht wächst. Segne du meinen Tag.
nach Jörg Zink