Unser Leben besteht (nur) aus dem, dem wir unsere Aufmerksamkeit schenken
Herzlich Willkommen zu LebensLiturgien, Staffel 6, Thema „Zeit“. Das mit der Zeit ist eine seltsame Sache: sie umgibt uns überall und bleibt doch ungreifbar. Manchmal vergeht sie quälend langsam, dann wieder viel zu schnell. Wir hätten gerne mehr von ihr – und vergeuden sie doch allzu oft. In dieser Staffel wollen wir versuchen, genau das tiefer zu verstehen und zu lernen, auf gute Weise in der Zeit zu leben.
Zu Beginn meines Betens lege ich zur Seite, was mich beschäftigt
und lasse es ruhig werden in mir.
Ich nehme mir Zeit und atme langsam und bewusst.
Herr über Zeit und Ewigkeit: du bist hier. Jetzt.
Meine Zeit steht in deinen Händen.
Alles hat seine Zeit. Das gilt für alles, was auf der Erde geschieht.
Neues Leben hat seine Zeit und Sterben hat seine Zeit.
Kranksein hat seine Zeit und Gesundsein hat seine Zeit.
Weinen und Klage haben ihre Zeit, aber auch Jubel, Leichtigkeit und Freude.
Konflikte und Kriege haben ihre Zeit, aber auch Versöhnung und Friede.
Es gibt eine Zeit für Umarmung und Liebe, und eine Zeit für Loslassen und Sich-Trennen.
Es gibt eine Zeit für Rush-Hour, Schnelligkeit und Zeitdruck, und eine Zeit für Ruhe, Durchatmen und Pausen.
Alles hat Gott so eingerichtet, dass es schön ist zu seiner Zeit – sogar die Ewigkeit hat Gott dem Menschen ins Herz gelegt.
Nur dass der Mensch nicht in der Lage ist, das Werk Gottes zu begreifen: er durchschaut weder, wo es beginnt, noch wo es endet.
nach Prediger 3
Sowohl für unser Zeitempfinden, wie auch dafür, was wir mit unserer Lebenszeit anstellen, spielt unsere Aufmerksamkeit die entscheidende Rolle.
Aufmerksamkeit ist die Fähigkeit, unsere Sinne und unseren Geist auf einige wenige, ganz bestimmte Reize zu fokussieren und dafür alle anderen Reize auszublenden.
Psychologen haben errechnet, dass wir Menschen weniger als 0,001 Prozent von all den Informationen wahrnehmen können, die zu einem bestimmten Zeitpunkt auf unsere Sinne und unser Gehirn einprasseln. Wir sind fast immer und überall von einer schier unendlichen Flut von Informationen, Eindrücken und Reizen umspült, von denen wir mittels unserer Aufmerksamkeit nur einige ganz wenige Informationen, Eindrücke und Reize herauspicken.
Ein großer Teil unserer Aufmerksamkeit wird automatisch von unserem Gehirn gesteuert: unser Gehirn scannt am laufenden Band all die vielen Reize um uns mittels Filter wie Kontrast, Bewegung, Bedeutsamkeit, Bedürfnis und Wiederholung.
Zugleich haben wir sowohl die Möglichkeit wie auch die Aufgabe, unsere Aufmerksamkeit bewusst zu lenken. Denn: worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, das bestimmt, was unsere Realität ist. Unser Leben ist im Grunde nicht mehr als die Summe aller Dinge, denen wir unsere Aufmerksamkeit geschenkt haben. Das, womit wir uns beschäftigen, was wir anschauen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, das wird zu einem Teil unseres Lebens. All die Dinge, Informationen und Reize, denen wir keine Aufmerksamkeit schenken, werden nicht zu einem Teil unseres Leben, ziehen ungestreift an uns vorüber.
Konkret: wenn wir uns mit dunklen, abgründigen Dingen beschäftigen, wird unser Leben dunkel und abgründig. Wenn wir uns beständig ziellos ablenken lassen, wird unser Leben oberflächlich und seicht. Wenn wir uns mit guten, lebensspendenden Dingen beschäftigen, wird unser Leben freundlich, hell und sinnerfüllt.
Wenn wir am Ende unseres Lebens auf unser Leben zurückblicken, wird unser Leben aus dem bestehen und von dem geprägt worden sein, dem wir unsere Aufmerksamkeit geschenkt haben.
Wer oder was bekommt aktuell besonders viel von meiner Aufmerksamkeit? Prägt das mein Leben zum Guten oder zum Schlechten?
Herr meiner Stunden und meiner Jahre, du hast mir viel Zeit gegeben.
Sie liegt hinter mir und sie liegt vor mir. Sie war mein und sie wird mein, und ich habe sie von dir.
Ich danke dir für jeden Schlag der Uhr und für jeden Morgen, den ich sehe.
Ich bitte dich nicht, mir mehr Zeit zu geben. Ich bitte dich aber um Weisheit und Willenskraft, dass ich meine Tage gut lebe.
Lehre mich, ein wenig Zeit freizuhalten von Ablenkung und Pflichten: ein wenig für Stille und Gebet, ein wenig für das Spiel, ein wenig für die Menschen um mich, die meine Liebe und meine Aufmerksamkeit brauchen.
Ich bitte dich um Sorgfalt, dass ich meine Zeit nicht töte, nicht vertreibe, nicht verderbe.
Jede Stunde ist wie ein Streifen Land. Ich möchte ihn aufreißen mit dem Pflug und Liebe hineinwerfen, damit Frucht wächst. Segne du meinen Tag.
nach Jörg Zink