Wir begegnen Jesus im Anderen und durch den Anderen
Herzlich Willkommen zu Lebensliturgien, Staffel 7, „Unterwegs“. In dieser Staffel lassen wir uns von 15 Spezial-Psalmen, den sog. „Wallfahrtsliedern“, inspirieren, anfeuern und begleiten auf unserem Weg der Nachfolge. Denn wir sind und bleiben unterwegs. Unser Glaube ist nie fertig – genauso wenig wie unser Leben. Nur im Gehen, auf dem Weg, formen sich unser Glaube und unser Leben. Die fünfzehn Wallfahrtslieder leiten uns dazu an, unseren Weg mit Ausdauer zu laufen: treu, zuverlässig, mit langem Atem, das Ziel fest im Blick. Denn auf dem Weg hin zu mehr Reife, Echtheit und Tiefe im Glauben gibt es keine Abkürzung. Und jetzt: gute Reise.
Zu Beginn meines Betens lege ich zur Seite, was mich beschäftigt
und lasse es ruhig werden in mir.
Ich sammle meine Gedanken und atme langsam und bewusst.
Du Gott der Wege: du bist hier. Jetzt. Mit mir.
Du wirst mich mit deinen Augen leiten.
Wir hören auf Worte aus dem Hebräerbrief, Kapitel 12 und 13:
Wir sind umgeben von einer ganzen Wolke von heiligen Zeugen, die uns anfeuern. Deshalb legt alles ab, was Euch beschwert! Jede Sünde, die Euch gefangen nimmt! Lauft ausdauernd und geduldig dem guten Ziel entgegen! Richtet Euren Blick dabei auf Jesus: er hat diesen Weg begonnen und vollendet – durch Anfeindungen, Schwierigkeiten und Leid hindurch. Wenn Ihr müde werdet und strauchelt: schaut auf ihn! Das wird Euch neue Kraft geben.
Stärkt eure müden Hände und die zitternden Knie. Lenkt eure Schritte entschlossen in die richtige Richtung. Geht auf geraden Wegen, damit niemand stolpert und fällt. Hütet euch vor dem Esau-Syndrom: gebt Gottes lebenslange Gabe und seinen Segen nicht weg, nur um kurzfristig euren Appetit zu stillen. Denn wir haben hier auf der Erde keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Zu ihr sind wir unterwegs.
So möge Euch der Gott des Friedens die Kraft geben, all das Gute zu tun, das nach seinem Willen durch euch geschehen soll. Durch Jesus Christus bewirke er in Eurem Leben das, woran er Freude hat. Gottes Gnade sei mit euch allen!“
aus dem Hebräerbrief, Kapitel 12+13
Noch einmal die Worte von Dietrich Bonhoeffer aus letzter Folge:
Es ist nichts Selbstverständliches für den Christen, dass er unter Christen leben darf. (…) Nicht alle Christen haben an dieser Gnade teil. (…) Die Gefangenen, die Kranken, die Einsamen in der Zerstreuung (…) stehen allein. (…) Es wir leicht vergessen, dass die Gemeinschaft christlicher Brüder ein Gnadengeschenk aus dem Reiche Gottes ist, das uns täglich genommen werden kann. (…) Darum, wer bis zur Stunde ein gemeinsames christliches Leben mit anderen Christen führen darf, der preise Gott aus tiefstem Herzen.
D. Bonhoeffer
Wie kommt Bonhoeffer darauf? Zum einen sicher aus seinem biografischen Erleben: Dietrich Bonhoeffer war Mitglied einer verfolgten Kirche im Untergrund. Möglicherweise gab es in ihm darüber hinaus auch eine Art Vorahnung, was in seinem Leben noch auf ihn wartet. Am 5. April 1943 wird Bonhoeffer von der Gestapo verhaftet und kehrt nicht wieder zurück. Über seine ersten Tage in Haft in Tegel schreibt Bonhoeffer:
Ich wurde für die erste Nacht in eine Zugangszelle eingeschlossen; die Decken auf der Pritsche hatten einen so bestialischen Gestank, dass es trotz Kälte nicht möglich war, sich damit zuzudecken. (…) Von außen drangen in meine Zelle zum ersten Mal jene wüsten Beschimpfungen durch das Personal, die ich seither täglich von morgens bis abends gehört habe. (…) Ich wurde in die abgelegenste Einzelzelle auf dem obersten Stock gebracht. (…)
Dort verbringt Dietrich Bonhoeffer seine ersten Tage in Isolationshaft, ohne jede Ansprache oder menschliches Gegenüber. Als er nach wenigen Tagen wenigstens seine Bibel bekommt, nimmt Bonhoeffer seine tägliche Übung der Bibellese und des Gebets wieder auf, die er seit über einem Jahrzehnt praktiziert und die sich während der gemeinsamen Zeit in Finkenwalde noch intensiviert hat. Die Gemeinschaft aber, die Gemeinschaft fehlt.
Bonhoeffers Hochschätzung der intensiven Gemeinschaft mit anderen Christen hatte aber auch noch einen theologischen Hintergrund. Er schreibt:
Die leibliche Gegenwart anderer Christen ist dem Gläubigen eine Quelle unvergleichlicher Freude und Stärkung. (…) Der Gefangene, der Kranke, der Christ in der Zerstreuung erkennt in der Nähe des christlichen Bruders ein leibliches Gnadenzeichen der Gegenwart Gottes.
Der Grundgedanke dahinter: Als Christen leben wir nicht von dem, was wir in uns selbst haben und in uns selbst sind. Nein: Christ werden wir und Christ bleiben wir durch das, was Gott von außen an uns tut und uns schenkt – besonders in seinem Wort. Und auch wenn Bonhoeffer täglich viel Zeit alleine mit Gottes Wort in der Bibel verbracht hat, so war seine Erfahrung, dass es immer neu eine besondere Kraft hatte, wenn Gottes Reden durch den Mund eines anderen Menschen zu ihm kam, wenn er das Gefühl hatte: „Oh, darin liegt etwas von Gott für mich.“ Bonhoeffer schreibt:
Dieses Wort hat Gott in den Mund von Menschen gegeben. (…) Gott hat gewollt, dass wir sein lebendiges Wort suchen und finden sollen im Zeugnis des Bruders [oder der Schwester]. (…) Darum braucht der Christ den Christen, der ihm Gottes Wort sagt, er braucht ihn immer wieder, wenn er ungewiss oder verzagt wird. (…) [Denn] der Christus im eigenen Herzen ist schwächer als der Christus im Herzen des Bruders.
In der Stille erinnere ich mich an das letzte Mal, als mein Glaube durch eine andere Person gestärkt wurde, als ich erlebt habe: da begegnet mir gerade Christus im Anderen, da legt gerade Gott sein Wort an mich in den Mund meines Gegenübers.
Verleih mir, gütiger und heiliger Vater, in deiner Huld:
einen Verstand, der dich versteht,
einen Sinn, der dich wahrnimmt,
einen Eifer, der dich sucht,
ein Herz, das dich liebt,
ein Tun, das dich verherrlicht,
eine Geduld, die auf dich harrt;
gib mir deine heilige Gegenwart, einen guten Tod
und eine glückliche Auferstehung im ewigen Leben.
Benedikt von Nursia
Amen.