Aus einer Predigt von Martin Luther King aus dem Jahr 1954
Herzlich Willkommen zu Lebensliturgien, Staffel 8, Gerechtigkeit ströme wie Wasser. In dieser Staffel begegnen wir dem Leben und den Worten von Martin Luther King: gewaltloser Widerstandskämpfer, Bürgerrechtler, Friedensnobelpreisträger und Pastor. Martin Luther King hatte ein besonderes Gespür für Gottes gerechtigkeitsliebendes Herz, eine klare Berufung von Gott und: er hatte den Mut, sich mit unermüdlicher Ausdauer für Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde aller Menschen einzusetzen – koste es, was es wolle. Möge Gott uns mit seinem guten Geist leiten.
Zu Beginn meines Betens lege ich zur Seite, was mich beschäftigt und lasse es ruhig werden in mir.
Ich sammle meine Gedanken und atme langsam und bewusst.
Gewiss: Gott fordert eine ganze Menge, ruft uns ins Tun des Gerechten.
Davor aber beschenkt er uns. Lässt uns ruhen. Und rüstet uns aus mit seinem Geist. In der Stille bete ich: „Komm, Heiliger Geist.“
Wir hören Worte aus Jesaja 58, Psalm 34 und Lukas 6:
Gott spricht: Ein frommes Leben, das mir gefällt, sieht so aus: Löst die Fesseln der Ungerechtigkeit! Knotet alle Jochstricke auf! Schafft jede Art von Unterdrückung ab! Lasst ab vom Bösen und tut Gutes; sucht Frieden und jagt ihm nach! Liebt eure Feinde und tut wohl denen, die euch hassen. Segnet, die euch verfluchen und betet für die, die euch beleidigen.
Wenn Ihr das tut, wird eure Gerechtigkeit vor euch hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird euren Zug beschließen. Dann wird euer Licht wie die Morgenröte aufstrahlen, und eure Wunden werden schnell heilen. Dann werdet Ihr rufen und der HERR wird antworten: ›Siehe, hier bin ich.‹ Dann wird der Herr euch immerdar führen und Ihr werdet sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Quelle, die niemals versiegt.
Es waren die Ideale und Werte des christlichen Glaubens, die Martin Luther King immer von Neuem bewegt und begeistert haben – damit haben wir letzte Folge beendet. Heute wollen wir das vertiefen. Wir hören in eine relativ frühe Predigt von Martin Luther King hinein, eine Predigt aus dem Jahr 1954. Die Gedanken aus dieser Predigt hat er so oder ähnlich auch später immer wieder in verschiedenen Versionen gehalten oder bei seinen Reden verwendet. In den Jahren auf dem Höhepunkt seiner Popularität hielt Martin Luther King teilweise mehrere Reden pro Tag, und das jeden Tag die Woche. Für all diese Reden griff er auf eine ganze Reihe von Grundgedanken zurück, unter anderem auf Gedanken aus dieser Predigt. Sie trägt den Titel „Verlorene Werte wiederentdecken“.
Mit unserer Welt stimmt etwas nicht, etwas Grundlegendes und Wesentliches. Das Problem liegt dabei beim Menschen selbst und in der Seele des Menschen. Wir haben einfach nicht gelernt, gerecht, ehrlich, freundlich, wahrhaftig und liebevoll zu. Wenn wir da heute vorankommen wollen, müssen wir zurückgehen und einige sehr wertvolle Werte wiederentdecken, die wir aufgegeben haben.
Mit diesen Worten eröffnet Martin Luther King seine Predigt. Der erste Wert, den King mit seiner Gemeinde wiederentdecken will, ist: dass es moralische Gesetze in unserem Universum gibt, die genauso real und wirksam sind wie die physikalischen Gesetze.
Ich bin mir nicht sicher, ob wir alle daran glauben. Wir zweifeln nie daran, dass es physikalische Gesetze im Universum gibt, die wir befolgen müssen. Aus diesem Grund springen wir nicht einfach aus Flugzeugen oder von hohen Gebäuden, nur weil es Spaß macht. Denn wir wissen, dass es ein Gravitationsgesetz gibt, und wenn man sich nicht daran hält, muss man die Konsequenzen tragen – das wissen wir. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob wir wissen, dass es moralische Gesetze gibt, die genauso unumstößlich sind wie die physikalischen Gesetze. Ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich glauben, dass es in diesem Universum ein Gesetz der Liebe gibt und dass man die Konsequenzen zu spüren bekommt, wenn man sich nicht daran hält. Ich bin mir nicht sicher, ob wir das wirklich glauben.
Seinen Zweifel stützt er mit der Beobachtung, dass wir in der westlichen Neuzeit eine relativistische Ethik entwickelt und angenommen haben. Er meint damit die Überzeugung, dass das, was „richtig“ und was „falsch“ ist, letztlich immer neu von der jeweiligen Gesellschaft, also von Menschen, ausgehandelt wird und somit beständigen Änderungen und Anpassungen unterworfen ist.
Aber ich bin heute hier, um Euch zu sagen, dass es Dinge gibt, die richtig sind, und Dinge, die falsch sind. Für immer und ewig, absolut. Es ist falsch zu hassen. Es war schon immer falsch und wird immer falsch sein. Es ist falsch in Amerika, es ist falsch in Deutschland, es ist falsch in Russland, es ist falsch in China. Es war falsch im Jahr 2000 v. Chr. und es ist falsch im Jahr 1954 n. Chr. Es ist falsch, unser Leben in einem zügellosen Lebensstil wegzuwerfen. Egal, ob es alle in Detroit tun, es ist falsch. Es wird immer falsch sein, und es war schon immer falsch. Es ist in jedem Zeitalter falsch und in jeder Nation. Manche Dinge sind richtig und manche Dinge sind falsch, egal ob alle das Gegenteil tun. Manche Dinge in diesem Universum sind absolut. Der Gott des Universums hat es so eingerichtet.
Der zweite Wert, den King mit seiner Gemeinde wiederentdecken will:
Wir müssen zurückgehen und das Prinzip wiederentdecken, dass es hinter aller Wirklichkeit und in aller Wirklichkeit einen Gott gibt. Dass alle Wirklichkeit eine spirituelle Dimension hat.
Aus Martin Luther Kings Sicht hat Amerika – und mit Amerika der gesamte Westen – dies vergessen und diese spirituelle, geistliche Dimension durch Materialismus und Konsum ersetzt bzw. verdrängt.
Das ist die Gefahr, die uns droht, meine Freunde: dass wir in einer Nation wie der unseren, in der wir Güter in Massen produzieren, in der wir so viele Annehmlichkeiten und Luxusgüter und all das haben, dass wir Gott unbewusst vergessen.
Ich möchte Euch heute Morgen sagen, dass nichts von all dem jemals ein echter Ersatz für Gott sein kann. Und ich sage Euch heute Morgen, dass ich mein Vertrauen nicht in Dinge setzen werde. Ich werde mein Vertrauen nicht in Geräte und Erfindungen setzen. Als junger Mann, der den größten Teil seines Lebens noch vor sich hatte, beschloss ich früh, mein Leben etwas Ewigem und Absolutem zu widmen. Ich werde mein Lebens-Vertrauen nicht in all die kleinen Götter setzen, die in unserem Atomzeitalter jederzeit zerstört werden können, sondern in den Gott, der uns in vergangenen Zeiten geholfen hat, der unsere Hoffnung ist für die kommenden Jahre, der unsere Zuflucht ist in Zeiten des Sturms und unsere ewige Heimat. Das ist der Gott, in den ich mein vollstes Vertrauen setze. Das ist der Gott, den wir heute Morgen anbeten!
In der Stille setze auch ich mein vollstes Vertrauen auf Gott und bete ihn an.
Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens und deiner Gerechtigkeit,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass mich trachten,
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.
Amen.
nach Franz von Assisi