Auf dem Morehouse College begegnet Martin Luther King den Gedanken von Henry David Thoreau, die ihn nachhaltig prägen.
Herzlich Willkommen zu Lebensliturgien, Staffel 8, Gerechtigkeit ströme wie Wasser. In dieser Staffel begegnen wir dem Leben und den Worten von Martin Luther King: gewaltloser Widerstandskämpfer, Bürgerrechtler, Friedensnobelpreisträger und Pastor. Martin Luther King hatte ein besonderes Gespür für Gottes gerechtigkeitsliebendes Herz, eine klare Berufung von Gott und: er hatte den Mut, sich mit unermüdlicher Ausdauer für Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde aller Menschen einzusetzen – koste es, was es wolle. Möge Gott uns mit seinem guten Geist leiten.
Zu Beginn meines Betens lege ich zur Seite, was mich beschäftigt und lasse es ruhig werden in mir.
Ich sammle meine Gedanken und atme langsam und bewusst.
Gewiss: Gott fordert eine ganze Menge, ruft uns ins Tun des Gerechten.
Davor aber beschenkt er uns. Lässt uns ruhen. Und rüstet uns aus mit seinem Geist. In der Stille bete ich: „Komm, Heiliger Geist.“
Wir hören Worte aus Jesaja 58, Psalm 34 und Lukas 6:
Gott spricht: Ein frommes Leben, das mir gefällt, sieht so aus: Löst die Fesseln der Ungerechtigkeit! Knotet alle Jochstricke auf! Schafft jede Art von Unterdrückung ab! Lasst ab vom Bösen und tut Gutes; sucht Frieden und jagt ihm nach! Liebt eure Feinde und tut wohl denen, die euch hassen. Segnet, die euch verfluchen und betet für die, die euch beleidigen.
Wenn Ihr das tut, wird eure Gerechtigkeit vor euch hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird euren Zug beschließen. Dann wird euer Licht wie die Morgenröte aufstrahlen, und eure Wunden werden schnell heilen. Dann werdet Ihr rufen und der HERR wird antworten: ›Siehe, hier bin ich.‹ Dann wird der Herr euch immerdar führen und Ihr werdet sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Quelle, die niemals versiegt.
Mit fünfzehn Jahren beginnt Martin Luther King, das Morehouse College in Atlanta zu besuchen, ein College, das seine Frau später einmal als „Harvard für Schwarze“ bezeichnet. Es wird geleitet und geprägt von Dr. Benjamin Mays. Mays ist tiefreligiös und ein Intellektueller mit großem Wissen. Als Prediger kann er die Menschen aufwühlen und gleichzeitig ihren Verstand anregen.
Jonathan Eig schreibt über ihn: „Mays war ein begnadeter Redner. Er schaukelte hin und her, als wolle er sein Publikum hypnotisieren, während er über Religion, persönlichen Anstand und politisches Engagement referierte und die Studenten für ihre allgemeine Unfähigkeit tadelte, sich auf »etwas Größeres als einen Hamburger« zu konzentrieren. (…) Mays wusste, dass nur etwa 2 Prozent der Schwarzen Männer und Frauen das College abschlossen, dass die Studenten, die vor ihm saßen, zu den Glücklichen, zur Elite, zu den Vielversprechendsten gehörten, und er forderte sie auf, sich der Verantwortung bewusst zu werden, die mit ihrem Privileg einherging. In seinen Vorträgen rief er zu einem religiösen Glauben auf, der im aktiven Handeln verwurzelt ist. (…) Mays sagte den Studenten, dass sie die Macht hätten, den Rassismus so zu bekämpfen, wie Gott es ihnen zur rechten Zeit zeigen würde.“
Während seiner Zeit in Morehouse begegnet Martin dem Essay „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ von Henry David Thoreau. Dieser Essay hat einen enormen Einfluss auf sein Denken und seine weitere Entwicklung. Thoreau hatte sich 1846 geweigert, eine Kopfsteuer von wenigen Dollar zu entrichten. Seine Begründung: die amerikanische Regierung billige Sklaverei:
Nicht für einen Augenblick kann ich eine politische Organisation als meine Regierung anerkennen, die zugleich auch die Regierung von Sklaven ist.
schrieb er. Er nahm für sich das Recht in Anspruch, der Regierung die Gefolgschaft zu verweigern und ihr zu widerstehen, wenn ihre Tyrannei oder ihre Untüchtigkeit zu groß und unerträglich wird. Er schrieb weiter:
Wenn das Gesetz aus dir einen Helfershelfer für das Unrecht macht, das einem anderen zugefügt wird, dann, so sage ich, brich das Gesetz. Ich denke nämlich, wir sollten zuerst Menschen und erst in zweiter Linie Untertanen sein. [...]
Für Martin Luther King, der von seinen Eltern zu Ordnung und Gesetzestreue erzogen wurde, ist der Gedanke zivilen Ungehorsams eine ganz neue Vorstellung, Während seiner Zeit in Morehouse liest King den Aufsatz gleich mehrfach. In seiner Autobiografie schreibt er:
Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass die Nichtzusammenarbeit mit dem Bösen ebenso eine moralische Verpflichtung ist wie die Zusammenarbeit mit dem Guten. Kein anderer hat diesen Gedanken so eloquent und leidenschaftlich vermittelt wie Henry David Thoreau. Dank seiner Schriften und seines persönlichen Zeugnisses sind wir die Erben eines Vermächtnisses des kreativen Protests. Die Lehren von Thoreau wurden in unserer Bürgerrechtsbewegung lebendig.
Welche Gedanken haben mich als jungen Erwachsenen intensiv beschäftigt oder geprägt? In der Stille komme ich mit Gott darüber ins Gespräch.
Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens und deiner Gerechtigkeit,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass mich trachten,
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.
Amen.
nach Franz von Assisi