Aus Martin Luther Kings Weihnachtspredigt 1967 - eine Art Testament
Herzlich Willkommen zu Lebensliturgien, Staffel 8, Gerechtigkeit ströme wie Wasser. In dieser Staffel begegnen wir dem Leben und den Worten von Martin Luther King: gewaltloser Widerstandskämpfer, Bürgerrechtler, Friedensnobelpreisträger und Pastor. Martin Luther King hatte ein besonderes Gespür für Gottes gerechtigkeitsliebendes Herz, eine klare Berufung von Gott und: er hatte den Mut, sich mit unermüdlicher Ausdauer für Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde aller Menschen einzusetzen – koste es, was es wolle. Möge Gott uns mit seinem guten Geist leiten.
Zu Beginn meines Betens lege ich zur Seite, was mich beschäftigt und lasse es ruhig werden in mir.
Ich sammle meine Gedanken und atme langsam und bewusst.
Gewiss: Gott fordert eine ganze Menge, ruft uns ins Tun des Gerechten.
Davor aber beschenkt er uns. Lässt uns ruhen. Und rüstet uns aus mit seinem Geist. In der Stille bete ich: „Komm, Heiliger Geist.“
Wir hören Worte aus Jesaja 58, Psalm 34 und Lukas 6:
Gott spricht: Ein frommes Leben, das mir gefällt, sieht so aus: Löst die Fesseln der Ungerechtigkeit! Knotet alle Jochstricke auf! Schafft jede Art von Unterdrückung ab! Lasst ab vom Bösen und tut Gutes; sucht Frieden und jagt ihm nach! Liebt eure Feinde und tut wohl denen, die euch hassen. Segnet, die euch verfluchen und betet für die, die euch beleidigen.
Wenn Ihr das tut, wird eure Gerechtigkeit vor euch hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird euren Zug beschließen. Dann wird euer Licht wie die Morgenröte aufstrahlen, und eure Wunden werden schnell heilen. Dann werdet Ihr rufen und der HERR wird antworten: ›Siehe, hier bin ich.‹ Dann wird der Herr euch immerdar führen und Ihr werdet sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Quelle, die niemals versiegt.
An Heiligabend 1967, keine vier Monate vor seiner Ermordung, hielt Martin Luther King in seiner Ebenezer Baptist Church die Weihnachtspredigt. Auf bewegende Weise sprach er dort über seine feste Entschlossenheit, allen Rückschlägen zum Trotz an seinen Traum von der Geschwisterlichkeit aller Menschen festzuhalten. Für mich sind diese Worte eine Art Testament.
Im Jahre 1963, an einem schwülen Augustnachmittag, standen wir in Washington D. C. und sprachen zum Volk über mancherlei. Gegen Ende jenes Nachmittags versuchte ich dem Volk von einem Traum zu erzählen, den ich gehabt hatte, und ich muss euch heute gestehen, dass ich, bald nachdem ich von dem Traum gesprochen hatte, zu sehen anfing, wie er sich in einen Albtraum verwandelte.
Ich erinnere mich an das erste Mal, dass ich sah, wie der Traum sich in einen Albtraum verwandelte, nur ein paar Wochen, nachdem ich davon gesprochen hatte. Es war damals, als vier schöne junge, harmlose, unschuldige schwarze Mädchen in einer Kirche in Birmingham (Alabama) ermordet wurden. Ich sah, wie der Traum sich in einen Albtraum verwandelte, als ich durch die Schwarzenviertel unseres Landes ging und meine schwarzen Brüder und Schwestern auf einer einsamen Insel der Armut zugrunde gehen sah. Ich sah, wie der Traum sich in einen Albtraum verwandelte, als meine schwarzen Brüder und Schwestern inmitten von Zorn und verständlicher Aufgebrachtheit sich fehlgeleiteten Krawallen zuwandten. Ich sah, wie der Traum sich in einen Albtraum verwandelte, als ich zuschauen musste, wie der Krieg in Vietnam sich immer mehr ausweitete.
Ja, ich bin selbst Opfer aufgeschobener Träume und zerschlagener Hoffnungen. Aber trotzdem sage ich hier und heute zum Schluss, dass ich noch immer einen Traum habe. Denn, wisst ihr: man kann im Leben nicht aufgeben. Wenn man die Hoffnung verliert, verliert man irgendwie die Vitalität, die das Leben in Bewegung hält. Man verliert den Mut zum Sein: die Eigenschaft, die immer hilft, trotz allem weiterzumachen.
Und so habe ich heute noch immer einen Traum. Ich träume davon, dass eines Tages die Menschen sich erheben und einsehen werden, dass sie geschaffen sind, um als Brüder und Schwestern miteinander zu leben. Ich träume auch heute noch davon, dass eines Tages jeder Schwarze in diesem Lande, jeder Farbige in der Welt aufgrund seines Charakters anstatt seiner Hautfarbe beurteilt werden und dass jeder Mensch die Würde und den Wert der menschlichen Persönlichkeit achten wird. Ich träume auch heute noch davon, dass eines Tages Brüderlichkeit mehr sein wird als ein paar Worte am Ende eines Gebets, nämlich das vordringlichste Anliegen auf der Agenda eines jeden Gesetzgebers. Ich träume auch heute noch davon, dass eines Tages das Recht offenbar werden wird wie Wasser und die Gerechtigkeit fließt wie ein starker Strom. Ich träume auch heute noch davon, dass in all unsere Parlamentsgebäude und Rathäuser Menschen einziehen werden, die Gerechtigkeit und Gnade üben und demütig sind vor ihrem Gott. Ich träume auch heute noch davon, dass eines Tages der Krieg ein Ende nehmen wird: dass die Männer ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen, dass kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben und nicht mehr kriegen lernen wird. Ich träume auch heute noch davon, dass eines Tages Lamm und Löwe miteinander lagern und ein jeglicher unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen wird ohne einen Funken Furcht. Ich träume auch heute noch davon, dass eines Tages alle Täler erhöht und alle Berge und Hügel erniedrigt werden und dass die Herrlichkeit des Herrn offenbart werden und alles Fleisch miteinander es sehen wird.
Ich träume noch immer davon, dass es uns mit diesem Glauben gelingen wird, die Versammlungen der Verzweiflung zu unterbrechen und neues Licht in die dunklen Kammern des Pessimismus zu tragen. Mit diesem Glauben wird es uns gelingen, den Tag schneller herbeizuführen, an dem Friede auf Erden und guter Wille unter den Menschen herrschen wird. Es wird ein herrlicher Tag sein, die Morgensterne werden gemeinsam singen, und die Söhne Gottes werden vor Freude jubeln.
Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens und deiner Gerechtigkeit,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass mich trachten,
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.
Amen.
nach Franz von Assisi