Von Zorn, Alkohol, Glaube, Hoffnung und einem neuen Selbstbewusstsein
Herzlich Willkommen zu Lebensliturgien, Staffel 8, Gerechtigkeit ströme wie Wasser. In dieser Staffel begegnen wir dem Leben und den Worten von Martin Luther King: gewaltloser Widerstandskämpfer, Bürgerrechtler, Friedensnobelpreisträger und Pastor. Martin Luther King hatte ein besonderes Gespür für Gottes gerechtigkeitsliebendes Herz, eine klare Berufung von Gott und: er hatte den Mut, sich mit unermüdlicher Ausdauer für Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde aller Menschen einzusetzen – koste es, was es wolle. Möge Gott uns mit seinem guten Geist leiten.
Zu Beginn meines Betens lege ich zur Seite, was mich beschäftigt und lasse es ruhig werden in mir.
Ich sammle meine Gedanken und atme langsam und bewusst.
Gewiss: Gott fordert eine ganze Menge, ruft uns ins Tun des Gerechten.
Davor aber beschenkt er uns. Lässt uns ruhen. Und rüstet uns aus mit seinem Geist. In der Stille bete ich: „Komm, Heiliger Geist.“
Wir hören Worte aus Jesaja 58, Psalm 34 und Lukas 6:
Gott spricht: Ein frommes Leben, das mir gefällt, sieht so aus: Löst die Fesseln der Ungerechtigkeit! Knotet alle Jochstricke auf! Schafft jede Art von Unterdrückung ab! Lasst ab vom Bösen und tut Gutes; sucht Frieden und jagt ihm nach! Liebt eure Feinde und tut wohl denen, die euch hassen. Segnet, die euch verfluchen und betet für die, die euch beleidigen.
Wenn Ihr das tut, wird eure Gerechtigkeit vor euch hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird euren Zug beschließen. Dann wird euer Licht wie die Morgenröte aufstrahlen, und eure Wunden werden schnell heilen. Dann werdet Ihr rufen und der HERR wird antworten: ›Siehe, hier bin ich.‹ Dann wird der Herr euch immerdar führen und Ihr werdet sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Quelle, die niemals versiegt.
Martin Luther Kings Großeltern väterlicherseits wurden in die sog. „Reconstruction“-Ära hinein geboren. 1865 war die Sklaverei endlich und nach vielen Kämpfen abgeschafft worden. Nun kauften aus der Sklaverei entlassene Männer und Frauen an vielen Orten Land, gründeten Kirchen und begannen zu wählen. Mehr als zweitausend Schwarze Amtsträger wurden in den Jahren nach der Sklaverei gewählt, darunter ein Gouverneur, zehn Mitglieder des US-Repräsentantenhauses und zwei Senatoren.
Dieser Aufbruch in die Freiheit und in die Gleichberechtigung währte jedoch nur wenige Jahre. Die Gegenreaktion der Weißen folgte beinahe unverzüglich und brutal. Die Südstaaten verabschiedeten Gesetze, die Leibeigenschaft ermöglichten (eine Art Ersatz-Sklaverei) und die überall strenge Rassentrennung vorsahen, mit einer klaren Unterordnung Schwarzer Menschen. In Zügen, Schulen, Kirchen, Krankenhäusern, Gefängnissen, Friseurgeschäften, Waschräumen und Bussen gab es streng getrennte Bereiche, auch sog. »gemischte« Ehen waren verboten. Ungleichheit, Benachteiligung und Willkür waren das, was Schwarze Menschen in den kommenden Jahrzehnten tagein tagaus erlebten.
Auch Jim King, Martin Luther Kings Großvater, erlebte sein Leben auf diese Weise: er hatte nie Lesen und Schreiben gelernt, hatte kein Land und arbeitete hart und für wenig Lohn auf der Farm eines Weißen. Jim Kings Sohn Michael, Martin Luther Kings Vater, beschrieb seinen Vater mit den Worten: hager, gereizt und zornig. Jim trank so lange, so regelmäßig und so viel, bis ihm alles egal war.
Jim Kings Frau Delia, Martin Luther Kings Großmutter, hielt die Familie zusammen und zog sieben Kinder groß. Ihr Sohn Michael schrieb:
Mama war mit sich selbst im Reinen, weil sie fest im Glauben stand. Gottes Weisheit war die Richtschnur in Mamas Leben, und selbst in den Zeiten großen Leids, die so oft in ihrem Leben vorkamen, verlor sie den Herrn nie aus den Augen. Keine Träne konnte sie für seine Gegenwart blind machen, und sie konnte ihre Augen weder in der Trauer noch in der Wut so fest verschließen, dass sie nicht Gottes Hand sah, die sich ihr entgegenstreckte.
Sonntag für Sonntag ging sie mit ihren Kindern zur Kirche, barfuß, die Schuhe in der Hand, um sie zu schonen. Dort, in den Kirchenbänken, entstand eine ganze eigene Schwarze Kultur. Hier begann, wenn auch nur langsam, ein neues Schwarzes Selbstbewusstsein heranzureifen. Hier liegen die Anfänge und die Wurzeln von Schwarzem politischen Aktivismus. Wurde man im Alltag an allen Ecken und Enden unterdrückt und schikaniert, so hörte man hier, dass vor Gott alle Menschen frei und gleichberechtigt sind. Hier wurde laut und deutlich verkündigt, dass die unterdrückerischen weißen Gesetze falsch sind und die Grausamkeiten des Ku-Klux-Klan ein Gräuel in Gottes Augen.
Wir hören in eine Predigt von Martin Luther King aus dem Jahr 1957:
Es ist so leicht für uns, uns minderwertig zu fühlen, weil wir so lange in Ungerechtigkeit und Unterdrückung gelebt haben. Rassentrennung erzeugt ein Gefühl der Minderwertigkeit. Ich aber sage Euch heute Morgen: geht mit der Gewissheit hier raus, dass Ihr „Jemand“ seid, und nicht „Niemand“. Ihr seid „Jemand“, weil Gott Euch liebt. Das ist der entscheidende Punkt. Auf diese Weise findet Ihr ein neues Gefühl der Würde und der Zugehörigkeit, das Euch niemand nehmen kann.
So war es auch während der Sklaverei. Der alte Prediger rief unseren Brüdern und Schwestern zu: „Ihr seid keine Sklaven, Ihr seid Gottes Kinder!“ Und das gab ihnen etwas, das sie durch die nächste Woche brachte. Sie wussten, dass sie den ganzen Tag auf dem Feld würden arbeiten müssen. Sie wussten, dass sie geschlagen, mit Füßen getreten und herumgestoßen werden würden. Sie lebten inmitten von Dunkelheit, Wut und Angst und manchmal wollte sie aufgeben. Aber sie kannten Gott. Sie wussten, dass der Gott, von dem sie im Neuen Testament gehört hatten, kein Gott war, der einige seiner Kinder unterwirft und andere erhöht. Sie hatten etwas, das sie antrieb.
Und so sage ich Euch heute Morgen: Geht aus dieser Kirche mit einem neuen Glauben an Euch selbst, mit neuem Selbstbewusstsein und einem neuen Gefühl der Würde, im Wissen, dass es in diesem Universum einen Gott gibt, der jedes einzelne seiner Kinder liebt.
In der Stille lasse ich einige sehr unterschiedliche Menschen aus meinem Umfeld vor meinem inneren Auge vorüberziehen und mache mir klar: Gott liebt jeden und jede Einzelne von ihnen.
Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens und deiner Gerechtigkeit,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass mich trachten,
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.
Amen.
nach Franz von Assisi