Im Juli 1966 brechen Aufstände im Chicagoer Slum aus, wo Martin Luther King zu dieser Zeit wohnt. Er kommt mit den jugendlichen Anführern ins Gespräch und gewinnt ihr Vertrauen.
Herzlich Willkommen zu Lebensliturgien, Staffel 8, Gerechtigkeit ströme wie Wasser. In dieser Staffel begegnen wir dem Leben und den Worten von Martin Luther King: gewaltloser Widerstandskämpfer, Bürgerrechtler, Friedensnobelpreisträger und Pastor. Martin Luther King hatte ein besonderes Gespür für Gottes gerechtigkeitsliebendes Herz, eine klare Berufung von Gott und: er hatte den Mut, sich mit unermüdlicher Ausdauer für Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde aller Menschen einzusetzen – koste es, was es wolle. Möge Gott uns mit seinem guten Geist leiten.
Zu Beginn meines Betens lege ich zur Seite, was mich beschäftigt und lasse es ruhig werden in mir.
Ich sammle meine Gedanken und atme langsam und bewusst.
Gewiss: Gott fordert eine ganze Menge, ruft uns ins Tun des Gerechten.
Davor aber beschenkt er uns. Lässt uns ruhen. Und rüstet uns aus mit seinem Geist. In der Stille bete ich: „Komm, Heiliger Geist.“
Wir hören Worte aus Jesaja 58, Psalm 34 und Lukas 6:
Gott spricht: Ein frommes Leben, das mir gefällt, sieht so aus: Löst die Fesseln der Ungerechtigkeit! Knotet alle Jochstricke auf! Schafft jede Art von Unterdrückung ab! Lasst ab vom Bösen und tut Gutes; sucht Frieden und jagt ihm nach! Liebt eure Feinde und tut wohl denen, die euch hassen. Segnet, die euch verfluchen und betet für die, die euch beleidigen.
Wenn Ihr das tut, wird eure Gerechtigkeit vor euch hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird euren Zug beschließen. Dann wird euer Licht wie die Morgenröte aufstrahlen, und eure Wunden werden schnell heilen. Dann werdet Ihr rufen und der HERR wird antworten: ›Siehe, hier bin ich.‹ Dann wird der Herr euch immerdar führen und Ihr werdet sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Quelle, die niemals versiegt.
Mitten im heißen Juli des Jahres 1966 brechen eines Nachts Aufstände aus in North Lawndale, dem Schwarzen Slumviertel, in dem Martin Luther King in dieser Zeit wohnt. Der Auslöser: Schwarze Jugendliche drehen einen Feuer-Hydranten an der Straße auf, um sich in der heißen Nacht im Wasserstrahl eine Erfrischung zu verschaffen. Als die Polizei eingreift und einige der Jugendlichen verhaftet, explodieren Frust, Wut und Hass in dem Viertel. Die Straßen verwandeln sich in ein Trümmerfeld – und Martin Luther King stürzt sich mitten hinein und versucht, mit den Menschen zu reden und sie von weiteren Zerstörungen und Akten der Gewalt abzuhalten.
Es sind vor allem die Jugendbanden, die aggressiv durch die Straßen ziehen. Auch mit ihnen sucht Martin Luther King das Gespräch. Er gewinnt zumindest so viel Vertrauen, dass einige der Bandenchefs von ihnen in einem Lokal mit ihm Hamburger essen und einige Tage später vor seiner Wohnungstür stehen. Coretta macht ihnen Sandwiches und lange sitzen die jugendlichen Anführer mit King zusammen.
Einer der Teenager ist so von Martin Luther King beeindruckt, dass er die anderen Anführer auffordert, Martin Luther King zu unterstützen. Der weiht diese daraufhin in seine Pläne ein, in Kürze Protestmärsche mit Freiwilligen in die weißen Stadtviertel zu unternehmen. Die Jugendlichen erklären sich sofort bereit, King dabei zu unterstützen und für seine Sicherheit zu sorgen. Seine Bedingung: sie müssen – ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit – auf jede Form von Gewalt verzichten, selbst wenn sie angegriffen werden.
Ich denke jetzt an einige Teenager in Chicago. Sie haben Spitznamen wie „Tex“, „Pueblo“, „Goat“ und „Teddy“. Sie stammen aus den schwarzen Slums. Von der Gesellschaft im Stich gelassen, kämpften und lebten sie einst stolz in Straßenbanden wie den Vice Lords, den Roman Saints und den Rangers. Ich lernte diese Jungen kennen und hörte mir ihre Geschichten (…) in der Slumwohnung an, die ich im West Side Ghetto von Chicago gemietet hatte. Ich war schockiert über das Gift, das sie gegen die Welt versprühten. Manchmal teilte ich ihre Verzweiflung und verlor jede Hoffnung, dass diese jungen Amerikaner jemals das Konzept der Gewaltlosigkeit (…) annehmen könnten. Ihr ganzes Leben lang haben Jungen wie diese das Leben als ein Tollhaus voller Gewalt und Erniedrigung erlebt. Einige haben nie ein sinnvolles Familienleben erlebt. Einige haben Vorstrafen. Einige haben die unglaublich schlechten Slumschulen abgebrochen, dann wurde ihnen eine ehrbare Arbeit verweigert, und dann gingen sie auf die Straße.
Aber dieses Jahr haben sie uns allen das Geschenk der Gewaltlosigkeit gemacht, was in der Tat ein Geschenk der Liebe ist. Die Freiheitsbewegung hat versucht, Jungen wie Tex eine Botschaft zu vermitteln. Zum einen haben wir erklärt, dass (…) körperliche Gewalt die zugrunde liegenden sozialen Probleme niemals lösen kann. Zweitens haben wir ihnen versprochen, dass wir durch unser Beispiel beweisen können, dass Gewaltlosigkeit funktioniert. (…) Und sie waren bereit, die Gewaltlosigkeit zu testen. Dann kam der erste Test für viele Jugendliche in Chicago: der Freedom March durch Mississippi. Bandenmitglieder fuhren dort in ganzen Wagenladungen hin. (…) Noch vor Ende des Marsches wurden sie mit Tränengas angegriffen. Ihre Aufgabe war: Frauen und Kinder auf dem Marsch zu schützen, und zwar mit nichts anderem als ihrem eigenen Körper. Für sie war es eine seltsame und möglicherweise unsinnige Art, auf Gewalt zu reagieren. Aber sie haben großartig reagiert! Sie haben in Mississippi gelernt und kehrten nach Chicago zurück, um dort die wunderbare Lektion zu lehren, dass man dem Bösen durch den Verzicht auf Gewalt entgegentreten kann.
In der Stille denke ich an eine Person in meinem Umfeld, die unerreichbar wirkt für Glaube und Güte, die innerlich ganz verhärtet ist. Ich hoffe auf eine überraschende Herzensveränderung und bete dafür.
Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens und deiner Gerechtigkeit,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass mich trachten,
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.
Amen.
nach Franz von Assisi