Im Januar 1966 mietet sich Martin Luther King in eine Vier-Zimmer-Wohnung in Chicago ein – mitten in North Lawndale, einem heruntergekommenen Schwarzen-Viertel.
Herzlich Willkommen zu Lebensliturgien, Staffel 8, Gerechtigkeit ströme wie Wasser. In dieser Staffel begegnen wir dem Leben und den Worten von Martin Luther King: gewaltloser Widerstandskämpfer, Bürgerrechtler, Friedensnobelpreisträger und Pastor. Martin Luther King hatte ein besonderes Gespür für Gottes gerechtigkeitsliebendes Herz, eine klare Berufung von Gott und: er hatte den Mut, sich mit unermüdlicher Ausdauer für Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde aller Menschen einzusetzen – koste es, was es wolle. Möge Gott uns mit seinem guten Geist leiten.
Zu Beginn meines Betens lege ich zur Seite, was mich beschäftigt und lasse es ruhig werden in mir.
Ich sammle meine Gedanken und atme langsam und bewusst.
Gewiss: Gott fordert eine ganze Menge, ruft uns ins Tun des Gerechten.
Davor aber beschenkt er uns. Lässt uns ruhen. Und rüstet uns aus mit seinem Geist. In der Stille bete ich: „Komm, Heiliger Geist.“
Wir hören Worte aus Jesaja 58, Psalm 34 und Lukas 6:
Gott spricht: Ein frommes Leben, das mir gefällt, sieht so aus: Löst die Fesseln der Ungerechtigkeit! Knotet alle Jochstricke auf! Schafft jede Art von Unterdrückung ab! Lasst ab vom Bösen und tut Gutes; sucht Frieden und jagt ihm nach! Liebt eure Feinde und tut wohl denen, die euch hassen. Segnet, die euch verfluchen und betet für die, die euch beleidigen.
Wenn Ihr das tut, wird eure Gerechtigkeit vor euch hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird euren Zug beschließen. Dann wird euer Licht wie die Morgenröte aufstrahlen, und eure Wunden werden schnell heilen. Dann werdet Ihr rufen und der HERR wird antworten: ›Siehe, hier bin ich.‹ Dann wird der Herr euch immerdar führen und Ihr werdet sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Quelle, die niemals versiegt.
Im Januar 1966 mietet sich Martin Luther King in eine Vier-Zimmer-Wohnung in Chicago ein – mitten in North Lawndale, einem heruntergekommenen Schwarzen-Viertel, das von seinen Bewohnern „Slumdale“ genannt wird. Überall ist Schutt und Müll, die Wohnungen haben zerbrochene Fenster, in den Eingangsfluren stinkt es nach Urin und Ratten gibt es hier tausendfach. Martin Luther King spürt: wenn er überhaupt etwas ausrichten will, muss er hier wohnen.
Im Jahr 1966 lebte und arbeitete ich in Chicago. Die Bürgerrechtsbewegung war zu oft auf die Mittelschicht ausgerichtet. (…) Daher war ich der Meinung, dass die große Herausforderung für die Bürgerrechtsbewegung darin bestand, (…) eine Identität mit den Bewohnern der Ghettos und den jungen Menschen in den Ghettos zu erlangen. Dies war einer der Gründe, warum ich der Meinung war, dass ich mit meinem Umzug nach Chicago im Herzen des Ghettos leben würde. Ich würde nicht nur die Lebensbedingungen meiner Brüder und Schwestern erleben, sondern auch mit ihnen leben können. (…) Dort waren die Probleme von Armut und Verzweiflung mehr als nur eine theoretische Übung. Täglich klingelte das Telefon und es wurden Geschichten über die drastischsten Formen der Unmenschlichkeit von Menschen gegenüber Menschen erzählt, und ich befand mich in einem täglichen Kampf gegen Depression und Hoffnungslosigkeit.
Noch an seinem ersten Abend veranstaltet Martin Luther King ein „open house“. Auch sechs Mitglieder einer lokalen Jugendgang kommen. Lange sitzen sie gemeinsam auf dem Boden. Martin Luther King erzählt von Mahatma Gandhi und seinem gewaltlosen Widerstand. Er argumentiert: auf lange Sicht werden Regierung und Polizei immer das letzte Wort haben, Gewalt von Minderheiten sorgt immer nur kurzfristig für Erleichterung und Siege. Eines der Gangmitglieder an diesem Abend erzählt Jahre später: „Wenn man das hörte, ihn sah, jung war und ein depressives Leben in Amerika führte, dann konnte man gar nicht anders, als sich in Dr. King zu verlieben.“
Martin Luther King und seine SCLC wollen in Chicago ein doppeltes Ziel erreichen. Zum einen: die Stadt durch öffentliche Aktionen und Proteste dazu bringen, Wohnraum für Schwarze in der ganzen Stadt zugänglich zu machen. Zum anderen: die Verhältnisse in den Slums, in den Schwarzen Wohnvierteln zu verbessern. Man sammelte hierfür die Mieten ganzer Häuserzüge ein, enthielt sie den Wohnungsbesitzern vor und führte mit diesem Geld stattdessen dringende, längst überfällige Reparaturen durch. Man begann außerdem mit Hausmeisterdiensten, die die Häuser und ihre Wohnungen pflegten. Und: es gab die „Operation Brotkorb“. Mit ihr sollten Firmen und Supermärkte, die in den Schwarzen Vierteln tätig waren, dazu gebracht werden, Schwarzen verantwortungsvollere und bessere Jobs zu geben. Wenn Firmen dies nicht einsahen, wurden Boykotte organisiert und somit wirtschaftlicher Druck auf sie aufgebaut. Durch diese Kampagne erhalten in den kommenden zwei Jahren etwa 800 Schwarze Angestellte bessere oder neue Jobs und Gehaltserhöhungen, die insgesamt etwa sieben Millionen Dollar mehr in die Taschen der Menschen im Viertel bringen.
Dennoch sind die Lebensumstände in den Slums in Chicago weiterhin eine Zumutung. Als für eine Weile auch Coretta und seine Kinder zu Martin Luther King in die heruntergekommene Wohnung in Chicago ziehen, erlebt die Familie am eigenen Leib, was dies bedeutet: weil es draußen zu gefährlich und zu dreckig ist, können die Kinder nicht draußen spielen. Die Wohnung aber ist zu schäbig und zu klein, um sich dort wohlzufühlen. Schon nach wenigen Tagen beginnen die Kinder ihr Verhalten zu ändern, werden gereizt, aggressiv und benehmen sich wie Kleinkinder.
Im Sommer wurde mir klar, dass die überfüllte Wohnung, in der wir lebten, in meiner eigenen Familie eine emotionale Explosion auslösen würde. Es war einfach zu heiß, zu voll und es fehlte an kreativen Formen der Freizeitgestaltung. In der Nachbarschaft gab es einfach nicht genug Platz, um sich als Kind auszutoben, ohne auf belebte, verkehrsreiche Straßen zu stoßen. Und ich verstand aufs Neue die Bedingungen, die aus dem Ghetto einen emotionalen Dampfkochtopf machen.
Welche Menschen oder Menschengruppen kenne ich, die in Verhältnissen leben und mit Lebens-Zumutungen ringen, dass ihre Nerven zum Zerreißen gespannt sind. Ich bete für sie – und bin offen, von Gott etwas gezeigt zu bekommen, was ich für sie tun kann.
Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens und deiner Gerechtigkeit,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass mich trachten,
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.
Amen.
nach Franz von Assisi