Nach einer Phase der Rücksichtnahme gibt Martin Luther King seine Zurückhaltung beim Thema Vietnamkrieg auf und bezieht offen dagegen Stellung. Was ihm vor allem harte Kritik und Ablehnung einbringt.
Herzlich Willkommen zu Lebensliturgien, Staffel 8, Gerechtigkeit ströme wie Wasser. In dieser Staffel begegnen wir dem Leben und den Worten von Martin Luther King: gewaltloser Widerstandskämpfer, Bürgerrechtler, Friedensnobelpreisträger und Pastor. Martin Luther King hatte ein besonderes Gespür für Gottes gerechtigkeitsliebendes Herz, eine klare Berufung von Gott und: er hatte den Mut, sich mit unermüdlicher Ausdauer für Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde aller Menschen einzusetzen – koste es, was es wolle. Möge Gott uns mit seinem guten Geist leiten.
Zu Beginn meines Betens lege ich zur Seite, was mich beschäftigt und lasse es ruhig werden in mir.
Ich sammle meine Gedanken und atme langsam und bewusst.
Gewiss: Gott fordert eine ganze Menge, ruft uns ins Tun des Gerechten.
Davor aber beschenkt er uns. Lässt uns ruhen. Und rüstet uns aus mit seinem Geist. In der Stille bete ich: „Komm, Heiliger Geist.“
Wir hören Worte aus Jesaja 58, Psalm 34 und Lukas 6:
Gott spricht: Ein frommes Leben, das mir gefällt, sieht so aus: Löst die Fesseln der Ungerechtigkeit! Knotet alle Jochstricke auf! Schafft jede Art von Unterdrückung ab! Lasst ab vom Bösen und tut Gutes; sucht Frieden und jagt ihm nach! Liebt eure Feinde und tut wohl denen, die euch hassen. Segnet, die euch verfluchen und betet für die, die euch beleidigen.
Wenn Ihr das tut, wird eure Gerechtigkeit vor euch hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird euren Zug beschließen. Dann wird euer Licht wie die Morgenröte aufstrahlen, und eure Wunden werden schnell heilen. Dann werdet Ihr rufen und der HERR wird antworten: ›Siehe, hier bin ich.‹ Dann wird der Herr euch immerdar führen und Ihr werdet sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Quelle, die niemals versiegt.
Im Sommer 1964 werden die USA offiziell Kriegspartei in Vietnam. Ab 1965 beginnen sie mit der Bombardierung Nordvietnams und nur wenig später mit dem Bodenkrieg, der schnell immer weiter eskaliert. Trotz seiner klaren Ablehnung jeglicher Form von Gewalt hält Martin Luther King sich in den Jahren 1965 und 1966 zurück mit kritischen Äußerungen über den Krieg. Zum einen, weil viele Anhänger und Spender der Bürgerrechtsbewegung für diesen Krieg sind und King sie nicht verprellen will. Außerdem drängen ihn seine engsten Berater wiederholt, die Bürgerrechtsfrage klar vom Vietnamkrieg zu trennen. Zum anderen will Martin Luther King seine guten Beziehungen zu Präsident Johnson nicht aufs Spiel setzen, der den Krieg in Vietnam als oberster Befehlshaber anführt.
1967 beendet Martin Luther King seine Zurückhaltung. Im Frühling zieht er sich für gut einen Monat auf Jamaica zurück, um dort – fernab aller Alltagsverpflichtungen – sein Buch „Where do we go from here“ zu schreiben. Am Abflug-Flughafen kauft er sich die Ausgabe eines linken Magazins, das auf dem Titelbild den gekreuzigten Jesus zeigt und neben dem Kreuz schattenhafte Soldaten mit Helmen und Bajonetten. Im Inneren des Heftes wartet ein großer Artikel über die Kinder Vietnams. Der Text ist illustriert mit Fotos von verstümmelten und verbrannten Kindern, getötet von Napalmbomben und amerikanischen Waffen. Im Anschluss an seinen Aufenthalt in Jamaica ruft Martin Luther King Präsident Johnson an, um ihm mitzuteilen, dass er sich von nun an gegen den Krieg in Vietnam stellen wird. Präsident Johnson stellt daraufhin jeglichen Kontakt zu King ein. Aber der Entschluss von Martin Luther King steht – auch nachdem er von beinahe allen Seiten harte Kritik für seine Position gegen den Vietnamkrieg einstecken muss. Er steht nun mit seinen Positionen weitgehend alleine da.
Eines Abends (…) nahm ich einen Artikel mit dem Titel „Die Kinder von Vietnam“ zur Hand und las ihn. Nachdem ich den Artikel gelesen hatte, sagte ich mir: „Nie wieder werde ich zu einem Thema schweigen, das die Seele unserer Nation zerstört und Tausende und Abertausende kleiner Kinder in Vietnam vernichtet.“ Ich kam zu dem Schluss, dass es einen existenziellen Moment im Leben gibt, in dem man sich entscheiden muss. (…) So oft hatte ich diejenigen gegeißelt, die durch Schweigen oder Untätigkeit das Übel des Rassenunrechts billigten und dadurch mit ihm kooperierten. (…) Hatte ich mich nicht dem Grundsatz verschrieben, dass das Wegschauen vom Bösen in Wirklichkeit ein Billigen desselben ist? (…) Es war an der Zeit – ja, es war überfällig –, dass ich mich von denen lossagte und distanzierte, die im Namen des Friedens brandschatzen, verstümmeln und töten.
Während viele Kritiker keinen Zusammenhang zwischen der bisherigen Arbeit Kings und seinen Äußerungen gegen den Vietnamkrieg erkennen können, hängen für Martin Luther King selbst sein aktueller Einsatz gegen die Armut in den USA und seine Stellung zum Vietnamkrieg unmittelbar zusammen. Er verweist dabei auf das große Sozialprogramm von Präsident Johnson aus dem Jahr 1964 mit dem Namen „War on poverty“ / „Krieg gegen die Armut“. In den Jahren 1964 und 1965 startet die US-Regierung eine Vielzahl von Programmen gegen die Armut: die Einführung einer Gesundheitsversorgung für einkommensschwache Bürger, der Start eines modernen Lebensmittelmarken-Programms zur Bekämpfung von Hunger, Frühförderung für Kinder aus armen Familien und finanzielle Unterstützung für Schulen in einkommensschwachen Gebieten. Und tatsächlich sinkt die Armutsrate deutlich. Als der Krieg in Vietnam 1965 eskaliert, werden jedoch immer weniger Gelder in den Kampf gegen die Armut gesteckt und viele Sozialprogramme eingestellt.
Es gibt eine sehr offensichtliche und fast triviale Verbindung zwischen dem Krieg in Vietnam und dem Kampf, den ich und andere in Amerika geführt haben. Vor einigen Jahren gab es einen strahlenden Moment in diesem Kampf. Es schien, als ob es durch das Armutsprogramm ein echtes Versprechen der Hoffnung für die Armen – sowohl Schwarze als auch Weiße – gab. Es gab Experimente, Hoffnungen, neue Anfänge. Dann kam der Ausbau des Kriegs in Vietnam, und ich sah zu, wie dieses Programm zerschlagen und ausgehöhlt wurde, als wäre es ein nutzloses politisches Spielzeug einer Gesellschaft, die verrückt nach Krieg war. Und ich wusste, dass Amerika niemals die notwendigen Mittel oder Energien in die Rehabilitation seiner Armen investieren würde, solange Abenteuer wie Vietnam weiterhin Männer, Fähigkeiten und Geld wie ein dämonischer, zerstörerischer Sog anziehen würden. Daher war ich zunehmend gezwungen, den Krieg als Feind der Armen zu betrachten und ihn als solchen anzugreifen.
In der Stille komme ich mit Gott über meine eigene Stellung zum Thema Waffen und Krieg ins Gespräch.
Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens und deiner Gerechtigkeit,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass mich trachten,
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.
Amen.
nach Franz von Assisi