Martin Luther King plant, im Februar 1968 eine Armee von Armen nach Washington zu bringen, die in ärmlichen Hütten vor den Türen der Reichen und Mächtigen campieren sollen.
Herzlich Willkommen zu Lebensliturgien, Staffel 8, Gerechtigkeit ströme wie Wasser. In dieser Staffel begegnen wir dem Leben und den Worten von Martin Luther King: gewaltloser Widerstandskämpfer, Bürgerrechtler, Friedensnobelpreisträger und Pastor. Martin Luther King hatte ein besonderes Gespür für Gottes gerechtigkeitsliebendes Herz, eine klare Berufung von Gott und: er hatte den Mut, sich mit unermüdlicher Ausdauer für Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde aller Menschen einzusetzen – koste es, was es wolle. Möge Gott uns mit seinem guten Geist leiten.
Zu Beginn meines Betens lege ich zur Seite, was mich beschäftigt und lasse es ruhig werden in mir.
Ich sammle meine Gedanken und atme langsam und bewusst.
Gewiss: Gott fordert eine ganze Menge, ruft uns ins Tun des Gerechten.
Davor aber beschenkt er uns. Lässt uns ruhen. Und rüstet uns aus mit seinem Geist. In der Stille bete ich: „Komm, Heiliger Geist.“
Wir hören Worte aus Jesaja 58, Psalm 34 und Lukas 6:
Gott spricht: Ein frommes Leben, das mir gefällt, sieht so aus: Löst die Fesseln der Ungerechtigkeit! Knotet alle Jochstricke auf! Schafft jede Art von Unterdrückung ab! Lasst ab vom Bösen und tut Gutes; sucht Frieden und jagt ihm nach! Liebt eure Feinde und tut wohl denen, die euch hassen. Segnet, die euch verfluchen und betet für die, die euch beleidigen.
Wenn Ihr das tut, wird eure Gerechtigkeit vor euch hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird euren Zug beschließen. Dann wird euer Licht wie die Morgenröte aufstrahlen, und eure Wunden werden schnell heilen. Dann werdet Ihr rufen und der HERR wird antworten: ›Siehe, hier bin ich.‹ Dann wird der Herr euch immerdar führen und Ihr werdet sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Quelle, die niemals versiegt.
Am 4. Dezember 1967, exakt vier Monate vor seinem Tod, gibt Martin Luther King eine Pressekonferenz. Dort erklärt er, im Frühjahr 1968 (also in wenigen Monaten) zusammen mit dem SCLC eine gewaltfreie Armee von Armen nach Washington D.C. führen zu wollen. Eine große Menschenmenge aus Schwarzen, Weißen, Mexikanern, Puertoricanern und Indigenen soll in der Methode gewaltlosen Widerstands ausgebildet werden und dann nach Washington kommen, wo sie in Hütten aus Holz oder Wellblech vor den Türen der Reichen und Mächtigen campieren.
Von dort aus sollen sie mit Aktionen zivilen Ungehorsams immer wieder den Betrieb der Stadt und der Regierung stören und Industriebetriebe besetzen – und zwar so lange, bis die Regierung sich wirklich mit den Problemen der Armen und Schwachen Amerikas befasst, bis die Nation einer radikalen Umverteilung des Wohlstands zustimmt. So wie Martin Luther King früher immer wieder Städte in produktive Unruhe versetzt hat, will er nun die ganze Nation in Bewegung bringen.
Amerika steht an einem Scheideweg der Geschichte, und es ist für uns als Nation und Gesellschaft von entscheidender Bedeutung, einen neuen Weg einzuschlagen und ihn entschlossen und mutig zu beschreiten. Die Krise, mit der wir in Amerika konfrontiert sind, darf nicht unterschätzt werden. Die Stabilität einer Zivilisation, das Potenzial einer freien Regierung und die schlichte Ehre der Menschen stehen auf dem Spiel. Diejenigen, die sich in der Menschenrechtsbewegung engagieren, einschließlich unserer Southern Christian Leadership Conference, sind sich der zunehmenden Verbitterung, Verzweiflung und Frustration bewusst. In gewisser Weise befinden wir uns im Krieg mit und untereinander. Wohlhabende Amerikaner sind in Vororten eingeschlossen, in denen sie sich zwar körperlich wohlfühlen, psychisch aber von Unsicherheit gequält sind. Arme Amerikaner sind in Ghettos eingeschlossen, in denen sie unter materiellen Entbehrungen und geistiger Entkräftung leiden. Es ist ein sozialer Wahnsinn spürbar, der zum Untergang unserer Nation führen könnte. (…) Dies ist der letzte gewaltfreie Ansatz, um unserer Nation eine Chance zu geben zu reagieren. Gott alleine weiß, was geschehen wird, wenn darauf keine Reaktion erfolgt.
King weiß, wie riskant diese Kampagne ist. Etwas vergleichbar Kompliziertes hat die SCLC noch nie organisiert – und sie leidet weiterhin unter Geldmangel, internen Streitigkeiten und dem Verlust ihrer einstigen Strahlkraft. Selbst bei denen, auf deren Unterstützung er sich sonst verlassen kann, stößt Martin Luther King deshalb auf Zweifel und Widerstand. Ihre Argumente sind, dass diese Aktion im Herzen Washingtons allzu leicht eskalieren und in Gewalt umkippen kann. Dazu fehlt vielen ein klarer Plan mit konkreten Forderungen. Die internen Zweifel und Widerstände gegen diese Idee nehmen in den Wochen nach der Pressekonferenz eher noch zu. Am Morgen seines 39. Geburtstages am 15. Januar 1968 sitzt King mit seinem SCLC-Leitungsteam zusammen – und ist schließlich so frustriert über die Negativität und die Desorganisation seines Teams, dass er die Sitzung wütend und mit schweren Kopfschmerzen verlässt.
Freunde und Kollegen beschreiben Martin Luther King in diesen letzten Monaten seines Lebens als immer erschöpfter und niedergeschlagener. Eine tiefe Müdigkeit – körperlich wie emotional – hat sich breit gemacht in seinem Inneren. Als Ralph Abernathy seinen Freund Martin Luther King eines Tages morgens um drei Uhr schlaflos auf dem Balkon eines Motels antrifft, beginnt dieser das alte Lied „Rock of Ages“ anzustimmen, das oft an Beerdigungen gesungen wird. Einige Tage später predigt er in seiner Ebenezer Church in Atlanta über die Worte Jesu: „Wer unter Euch groß sein will, muss euer Diener sein.“ Darin kommt er auch auf seine eigene Beerdigung zu sprechen:
Hin und wieder denke ich an meinen Tod, und ich denke an meine Beerdigung. Hin und wieder frage ich mich: »Was sollte – wenn es nach mir geht – dann gesagt werden?« Ich will euch heute Morgen darüber Auskunft geben.
Wenn einige von euch dabei sind, wenn mein Tag kommt: Ich möchte keine lange Beerdigung. Und wenn ihr jemanden eine Grabrede halten lasst, sagt, sie sollen nicht zu lange reden. (…) Ich möchte, dass an jenem Tag irgendeiner lediglich sagt: »Martin Luther King Jr. versuchte mit seinem Leben anderen zu dienen. « Ich möchte, dass jemand an jenem Tag sagt: »Martin Luther King versuchte, Liebe zu üben.« (…) Ich möchte, dass ihr sagt, dass ich versuchte, die Menschheit zu lieben und ihr zu dienen. (…) All die anderen unwichtigen Dinge werden keine Rolle spielen. Ich werde kein Geld hinterlassen. Ich werde keine vornehmen und luxuriösen Dinge hinterlassen. Ich möchte einfach ein engagiertes, hingegebenes Leben hinterlassen. Wenn ich meine Pflicht als Christ tun kann, wenn ich Erlösung für eine einst aufgewühlte Welt bringen kann, dann wird mein Leben nicht vergeblich gewesen sein.
Was sollte – wenn es nach mir geht – an meiner Beerdigung von mir und meinem Leben gesagt werden?
Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens und deiner Gerechtigkeit,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass mich trachten,
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.
Amen.
nach Franz von Assisi